Literaturkombinat Dortmund
    Literatur mit dem Leben kombinieren

 

Nichtraucher in drei Sekunden - die Methode der freien Willensentscheidung

Kap. 2

"Ich rauche seit drei Monaten nicht mehr, aber eigentlich bin ich Raucher"

 

Ich kenne ein Pärchen, das lange mit mir befreundet ist. Beide sind seit ihrer frühen Jugend Raucher. Seit nunmehr fast zehn Jahren versuchen sie – mal miteinander, mal jeder für sich – sich das Rauchen abzugewöhnen. Sie haben wohl alle Methoden, Pflästerchen und Torturen schon mehrmals durchgemacht, ohne einen dauerhaften Erfolg. Immer haben sie – mal nach ein paar Wochen, mal nach ein paar Monaten - wieder damit angefangen, frustriert über ihre Willensschwäche und die erfolglosen Methoden. 

Irgendwann einmal, beide waren gerade wieder dabei, sich das Rauchen abzugewöhnen, habe ich mich mit den beiden darüber unterhalten, wie es mir gelang, mir das Rauchen abzugewöhnen. Im Laufe dieses Gespräches sagte die Frau zu mir: "Ich rauche seit drei Monaten nicht mehr, aber eigentlich bin ich Raucher."

Ich habe wohl damals schon sehr verdutzt auf diesen Satz reagiert und er ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Mich erstaunte die Hoffnungslosigkeit, die aus diesem Satz spricht, andererseits wurde mir bewusst, wie oft wir Sätze mit einer ähnlichen oder gleichen Struktur gebrauchen. Letztlich war es dieser Satz, der mich - zunächst unbewusst, in den letzten Monaten immer bewusster – über die Problematik des Rauchens nachdenken ließ und mich schließlich dazu brachte, dieses Buch zu schreiben. 

Erinnern Sie sich noch an den Satz Nietzsches, den ich vorhin zitierte? "Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich nicht höre, wie ich es sage?" Formulieren wir diesen Satz einmal etwas anders und sagen wir, dass wir zuerst aussprechen müssen, was wir denken, und dass wir uns selbst sehr genau dabei zuhören müssen, um zu erfahren, was wir „wirklich“ denken. Im Falle meiner Bekannten haben wir es dann mit dem Umstand zu tun, dass jemand ausspricht, was er über sich denkt, ohne sich allerdings wirklich darüber im Klaren zu sein, in welche – eigentlich offensichtlichen – Widersprüche er sich verwickelt bezüglich seiner Position in der Wirklichkeit. Zum einen haben wir hier eine Aussage über eine Tätigkeit bzw. die Unterlassung einer Tätigkeit, nämlich des Rauchens bzw. Nicht-Rauchens ("Ich rauche schon seit drei Monaten nicht mehr"), zum andern haben wir eine Aussage ein "Sein" betreffend ("ich bin eigentlich Raucher").

Erinnern Sie sich jetzt noch daran, dass ich in der Einleitung über das Rauchen und die Gewohnheit sagte: "Man tut es heute, weil man es gestern getan hat und man wird es morgen tun, weil man es gestern getan hat und heute wieder tun wird."? Sehen Sie, wie sehr der Satz: "Ich rauche seit drei Monaten nicht mehr, aber eigentlich bin ich Raucher" dem in seinem ersten Teil entspricht, in seinem zweiten aber diametral zuwider läuft? Während das "Man tut es heute, weil man es gestern getan hat …" eine zeitliche Abfolge konstituiert ("Ich rauche seit drei Monaten nicht mehr"), die allein auf der gewohnheitsmäßigen Wiederholung eines Tuns beruht, beruft sich der Satzteil: "… aber eigentlich bin ich Raucher" nicht auf eine Tätigkeit, sondern auf ein Sein, das man ist. Der Unterschied ist klar: während man ein fortgesetztes Tun jederzeit unterbrechen und eben nicht-mehr-tun kann, erscheint uns ein Sein, dass man ist, weniger offen gegenüber unseren Handlungen. Es erscheint dichter, undurchdringlicher für Entscheidungen. Denken Sie nur einmal an den Begriff "Mensch". Ein "Mensch" ist man entweder, oder man ist es nicht. Man kann sich nicht aussuchen, ob man einer ist, man ist dazu geboren oder etwa zu etwas anderem, einem Tier oder einem Baum. Ein Sein, das man ist, kann man sich nicht aussuchen, man kann es nicht wählen oder abwählen. Man ist das was man eben ist.

Wir können hier also feststellen, dass meine Bekannte sich nicht richtig zugehört hat, während sie aussprach, was sie dachte, deshalb konnte sie nicht zu dem gelangen, was man das „Wissen über sich selbst“ nennen könnte. Diese „Wissen über sich selbst“ ist aber die Grundlage der Selbsterkenntnis und im Weiteren die Grundlage dessen, was wir „Handlung“ nennen. Ich muss wissen, wer oder was ich bin, wenn ich etwas „mit mir“ tun – also handeln – will. 

Das sollten wir im Folgenden nicht vergessen.

Um die Wichtigkeit dieser Ausführungen zu betonen, möchte ich mich hier noch einmal von einem zusammenhangslosen "Spontitum" absetzen, in dem man etwa sagen könnte: ich rauche heute nicht – also bin ich Nichtraucher. Morgen bin ich dann wieder Raucher, einfach, weil ich es heute so und morgen wieder anders will. Ich bin ja frei in meinem Tun. Nein. Wir binden uns durch unsere Handlungen – wir binden uns an uns selbst und erschaffen uns durch unsere Handlungen eine Identität, die im Laufe der Zeit immer mehr an "Dichtigkeit" zunimmt.

Wir werden auf diese äußerst wichtige Angelegenheit – das Verhältnis von "Tun" und "Sein" - noch im späteren Verlauf unserer kleinen Untersuchung über das Rauchen und die Willensfreiheit zurückkommen. Lassen Sie mich aber zuerst den Konflikt noch verstärken, indem wir die Probleme des Nichtrauchens bis in den allerpersönlichsten Bereich hinein näher beschreiben. Erst wenn der Konflikt in aller Schärfe vor uns liegt, wird die "Medizin", die ich vorschlage, wirken können.