Literaturkombinat Dortmund
    Literatur mit dem Leben kombinieren

 

Personal für alle Fälle

 

oder:

 

Wie einmal von einer stellvertretenden Personalleiterin die Welt gerettet wurde

 

 

Ähnlichkeiten mit noch lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig oder ließen sich nicht vermeiden

 

Anna Fischkesser war zufrieden mit sich. Gerade hatte sie ein Anschreiben an die Geschäftsführung fertig bekommen, das ihr seit Wochen schlaflose Nächte bereitete. Wenn es sich um Belange der Geschäftsführung handelte, konnte man nicht vorsichtig genug sein. Es ging um die Bereitstellung von Personal für einen Sonderauftrag, der durch das Geschäftsfeld ihrer Firma nicht ohne weiteres abgedeckt war. In solchen Fällen verschaffte sich die Geschäftsführung gern Rückendeckung durch die Personalabteilung, bevor sie den Ausschuss für Oberflächenaktivitäten, den AfOAK, informierte. Blockierte der AfOAK, konnte man immer noch die Personalabteilung verantwortlich machen, ging es reibungslos durch, konnte man den Erfolg für sich verbuchen. Ihre Chance als stellvertretende Personalleiterin lag darin, möglichst so zu formulieren, dass Egon Reisser, Vorsitzender des AfOAK, sich nicht auf den Schwanz getreten fühlte. Besser er bemerkte gar nicht erst, dass das Anforderungsprofil für die benötigten Arbeiten gegen jedes Tätigkeitsprofil ihrer Firma verstieß, sowie in nicht geringem Maße den Tätigkeiten ihrer größten (und einzigen) Konkurrenz-Firma glich. Aufgrund einer mehr als achthundert Jahre alten Tradition mischte sich ihr Unternehmen nicht in Belange von 'Seelenheil & Co' ein und die Konkurrenz tat dasselbe, was ihre Tätigkeiten anging.

Anna Fischkesser langte nach dem Telefonhörer auf ihrem Schreibtisch und tippte die Nummer ihrer Kollegin bei 'Seelenheil & Co.' ein. Wie immer verbrannte sie sich fast ihre Fingerspitzen an den Tasten ihres Telefons. Schon Tausendmal und mehr hatte sie die Haustechnik darum gebeten, ihr ein Telefon zu besorgen, das Rücksicht auf ihre empfindlichen Fingerspitzen nahm. Seit dem Vorfall mit dem siedenden Öl war die Haut auf ihren Händen auch nicht mehr das, was sie einmal war. Erfolglos hatte sie bei der VAE, der 'Versicherung Ablass und Erlösung' Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Aber obwohl ihre Behandlung ganz klar gegen die Bestimmungen der Heiligen Inquisition verstoßen hatte, hatte sie keinen lumpigen Cent gesehen, geschweige denn ein Wort der Entschuldigung gehört. Ihre Hände in siedendes Öl zu tauchen, war eine Gemeinheit, die ihr Verhältnis zu den irdischen Stellvertretern von 'Seelenheil & Co' nachhaltig beeinträchtigt hatte. Nur das Verhältnis zu ihrer Freundin Cynthia, die bei 'Seelenheil & Co' die gleiche Stellung inne hatte wie sie, bewegte sich auf einem Niveau, das man als 'erträglich' bezeichnen konnte.

Anna Fischkesser seufzte und dachte an ihren Antrag auf Arbeitszeitverkürzung, der seit knapp vierzehn Jahren bei ihrem direkten Vorgesetzten auf seine Bearbeitung wartete. Sie wusste, dass die Bewilligung ihres Antrages bedeuten würde, dass sie nur noch dreihundertunddreißig statt der vorgesehenen siebenhundertundfünfzig Jahre hier würde schuften müssen, und machte sich keine großen Hoffnungen, zumal das dem Antrag parallel laufende Einstellungsverfahren bei 'Seelenheil & Co' auch noch auf sich warten ließ. Aber vielleicht wusste Cynthia, die Freundin aus alten Tagen, ja mehr.

Am anderen Ende der Leitung ertönten Glocken. Johann Sebastian Bachs ‘Jesus bleibet meine Freude’. Anna Fischkesser konnte es nicht mehr hören. Die konnten sich doch auch irgendwann einmal eine andere Erkennungsmelodie anschaffen. 'Stairway to heaven' wäre ihrer Meinung nach noch das Mindeste gewesen, was man einem modernen Unternehmen schuldig war. Wenn man bei ihr anrief, ertönte die digital abgemischte Version eines Stones-Klassikers dem die Sympathie zum Leiter ihres Unternehmens unzweideutig zu entnehmen war. Aber jedes Unternehmen musste für sich entscheiden, wie weit es für ihre Kundschaft ein unverwechselbares Profil anbot. Kein Wunder, dass die Zugangszahlen für 'Seelenheil & Co' stagnierten während der Zulauf zu ihrem Unternehmen alle Prognosen der Wirtschaftsweisen in den Schatten stellte.

Am anderen Ende wurde der Telefonhörer abgenommen und Anna Fischkesser hörte die fröhliche Stimme ihrer Freundin durch die Leitung flöten. Noch so eine Sache, die sie hasste, sie aber gleichzeitig wünschen ließ, dass sie möglichst bald ins Konkurrenzunternehmen wechseln könnte. Ihre Freundin Cynthia war immer fröhlich, immer gesund und fit - eine Folge der besseren Arbeitsbedingungen bei 'Seelenheil & Co'.

"Hallo? Anna-Schätzchen? Ach das ist ja schön, dass ich von dir mal wieder was höre? Wie lange ist das her? Zwanzig Jahre? Länger? Ach Gott, wie die Zeit vergeht … UUUPS, das hätte ich jetzt vielleicht nicht sagen sollen, jetzt habe ich IHN schon auf der anderen Leitung, warte doch bitte, Schätzchen, bin sofort wieder ... ."

Die Leitung wurde unterbrochen und Anna Fischkesser seufzte noch einmal tief auf. Sie wäre froh gewesen, wenn IHR Chef sie allein bei Nennung seines Namens sofort zurückgerufen hätte, aber man konnte ja nicht alles haben. Allgegenwärtigkeit war etwas, was in ihrem Unternehmen noch auf der Liste der zu erledigenden Dinge stand. SIE konnte schon froh sein, wenn sie einmal bis ins Vorzimmer des Chefs gelangte, wo ein Haufen verstorbener Päpste die Besucher strengen Kontrollen unterzog. Ohne ordentlichen Ketzer-Nachweis war kaum ein Termin beim Chef zu bekommen.

Genervt über die Unterbrechung schaute Anna Fischkesser aus dem Fenster ihres Büros. Draußen waren die Kollegen vom Tiefbau damit beschäftigt, eine neue Grube auszuheben, in der die Neuzugänge solange zwischengelagert werden sollten, bevor entschieden war, in welchem Bereich des weit verzweigten Unternehmens sie Unterbringung finden würden. Sie war dagegen gewesen, dass die neue Grube direkt vor den Fenstern der Personalabteilung gegraben wurde, der Geruch von Schwefel, der durchs Fenster zog und die unregelmäßig aufflammenden Feuerzungen störten sie bei der Arbeit. Aber sie hatte gar nicht erst versucht sich tieferen Ortes zu beschweren. Die Arbeitsstättenverordnung kannte in dieser Hinsicht keine Toleranz. Höllische Arbeitsbedingungen gehörten bei ihnen einfach dazu.

Anna Fischkesser hörte ein Knacken in der Leitung.

"So etwas aber auch", piepste Cynthia, "mein Chef ist aber auch soooo was von empfindlich. Als ob er allein für alles verantwortlich wäre. Kümmert sich um alles, will alles wissen und tut so, als hätte er die Welt allein erschaffen. Aber was kann ich für dich tun, Schätzchen?"

Anna Fischkesser stöhnte in sich hinein. In-sich-hinein-Stöhnen war gut, es brachte Pluspunkte in der Büßer-Datei, und auch wenn es noch niemandem gelungen war, durch Stöhnen allein seinem Schicksal zu entgehen, so vernachlässigte sie diese Form der Karma-Kontrolle doch nicht. Auch die kleinsten Dinge konnten zur Erlösung beitragen.

"Cynthia, Liebling", dröhnte Anna Fischkesser im besten Bass zurück, "du kannst mir tatsächlich einen Gefallen tun. Kannst du dich bei dir mal umhören, ob es von eurem Unternehmen Optionen auf die Rettung der Welt gibt? Wir haben hier eine Anfrage auf Zurverfügungstellung einer Hilfstruppe für Bodeneinsätze. Ich bereite gerade das Anschreiben für die Geschäftsführung zur Abstimmung mit dem AfOAK... ."

"Anna-Schätzchen", unterbrach Cynthia sie mit Engelszungen, "Anna-Schätzchen, das würde ich ja liiiiebend gerne für dich tun, aber du weißt doch selbst, dass unser Chef …."

"Ja, ja, ich weiß", dröhnte Anna Fischkesser mit Grabesstimme zurück (sie hasste ihre Stimme, aber man hatte darauf bestanden, dass sie sich in vielstimmiger Panikmache hatte ausbilden lassen - ein Teil ihrer Aufgaben als stellvertretende Personalleiterin), "Ich weiß, dass euer Chef einen Aufsichtsratsposten bei uns inne hat und sowieso davon erfährt. Es gibt ja sogar Leute, die behaupten, dass euer Chef auch der heimliche Chef unseres Unternehmens ist, während wieder andere genau das Gegenteil behaupten. Aber es wäre wirklich eine große Hilfe für mich, wenn ich im Vorfeld erfahren könnte, was bei euch so angedacht ist. Du weiß doch wie das ist, Schätzchen, wenn die ganze Geschichte erst in der nächsten Aufsichtsratssitzung auf den Tisch gebracht wird, heißt es hinterher wieder: Warum konnte man das nicht im Vorfeld klären? Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob unsere Leute es überhaupt bis in den Aufsichtsrat kommen lassen wollen. Man hört läuten, dass wir im Alleingang ... ."

"Aber das ist ja schrecklich", flötete Cynthia dazwischen, "kann man denn da gar nichts machen? Ich habe doch noch Nachfahren oben .. ."

"Unten, wolltest du wohl sagen", unterbrach Anna Fischkesser.

"Oben - Unten", kicherte Cynthia, "na so was, da vertu ich mich doch immer wieder. Seit ich hier bin ... ."

"Das brauchst du MIR gegenüber nicht immer wieder zu betonen. Außerdem hast du mich falsch verstanden. Es geht darum, dass wir die Welt RETTEN sollen“, knurrte Anna Fischkesser böse und nahm sich vor, nicht nach dem Stand der Dinge ihre Überführung nach 'Seelenheil & Co.' zu fragen. Am liebsten hätte sie ihrer Freundin jetzt etwas durchs Telefon geschickt. Ein paar giftige Schlangen oder die Pest, aber leider verfügte 'Seelenheil & Co' ´über eine bisher nicht zu überwindende Fire-Wall in ihrer Telekommunikations-Software. Würmer, Viren, Trojanische Pferde, alles was die Abteilung 'Virtueller Schrecken' aufzubieten hatte, biss sich regelmäßig die Zähne daran aus, bisher ohne Erfolg.

"Darüber hinaus weiß ich ebenso gut wie du, meine Liebe", fuhr Anna Fischkesser fort, "dass DU es geschafft hast und dass ICH noch einige Jährchen vor mir habe, bevor ich zu euch kommen kann. Aber glaube mir, hier ist es auch nicht schlecht. Wir haben ein ganz ausgezeichnetes Betriebssportzentrum, jede Menge thermische Quellen und, im Unterschied zu euch, jeden Abend Schwof bis zur Geisterstunde mit den besten Latin-Lovers, die das Erdenrund je zu sehen bekommen hat."

"Ja", gab Cynthia mit beleidigter Stimme zu, "ich weiß, ich weiß, in Bezug auf unser fleischliches Vergnügen ist es wirklich ein wenig öde hier oben, aber dass eure Folterkammer nun als Betriebssportzentrum firmiert und eure Schwefellöcher als thermische Quellen, das, Schätzchen, wäre mir aber auch neu."

"Lass uns jetzt bitte nicht streiten, Cynthia-Schatz", dröhnte Anna Fischkesser mit der höchsten ihr zur Verfügung stehenden Stimmlage (die ungefähr die Klangqualität eines tiefen Rülpsers erreichte), "also hast du jetzt Informationen darüber, ob ihr euch einmischen werdet, oder nicht?"

Langsam war sie das Gespräch leid, der Telefonhörer brannte in ihrer Hand und die Flammen, die aus dem Gerät schlugen, züngelten an ihrem Arm entlang und versengten ihr die Haare. Sie sehnte sich nach ihrem jährlichen Termin auf der erst kürzlich eingerichteten Klon-Station. Die Inbetriebnahme der Station hatte den Betriebsrat Jahre harten Kampfes und einen gut ausgearbeiteten Nachweis gekostet, dass die neue Technologie nirgends besser aufgehoben war als gerade in IHRER Firma. Am Ende hatte man sogar mit Streik gedroht, und letztlich hatte wohl die Aussicht auf einen hundertjährigen Frieden auf Erden die Geschäftsführung dahingehend umgestimmt, dass nur ein frisch geklonter Mitarbeiter für ein weiteres Jahr Höllenqualen wirklich fit war.

"Zunächst einmal, Schätzchen", flötete Cynthia, "muss ich wissen, warum ausgerechnet IHR die Welt retten wollt. Wäre das nicht eher UNSERE Aufgabe?"

"Das habe ich doch schon gesagt", knurrte Anna Fischkesser und verschluckte dabei eine Kröte, die ihr eben aus dem Hals gekrochen war und sich anschickte, auf ihren Schreibtisch zu springen um sich dort in einen Dämon zu verwandeln, "wir hatten eine Anfrage."

"Von wem?"

"Von unserem Vertrieb. Die wollen, dass wir uns unsere besten Kunden erhalten. Niemand hat einen Gewinn davon, wenn man gleich den ganzen Laden dicht macht, indem man voreilig und vollkommen unnötig das Ende der Welt herauf beschwört."

"Und um wen handelt es sich da bei euren besten Kunden?"

"Die Namen darf ich dir leider nicht sagen, Geschäftsgeheimnis. Ich kann dir nur so viel sagen: der eine ist ein Cowboy und der andere ist so ein kleiner dicker, mit Schnurrbart. Die Beiden haben schon ein festes Plätzchen in unserem Unternehmen, noch bevor sie überhaupt hier sind. Der eine von den beiden liegt uns besonders am Herzen. Unsere Werbeabteilung beißt sich die Zähne durch, seit er den Slogan von der 'Achse des Bösen' in die Welt gesetzt hat. Ein Marketingtrick, der UNS hätte einfallen müssen. Wir bemühen uns gerade darum, ihm die Rechte daran abzukaufen. Und der andere nimmt uns fast die Hälfte unserer Produkte ab. Giftgas, Panzer, böse Gerüchte und üble Methoden, die ganze Palette eben. Das Problem ist, dass wir auf Kommission liefern, frag mich nicht, wie die Kollegen vom Vertrieb sich das denken. Wenn es nach mir ginge, würden wir unsere Ausstände sofort eintreiben, aber die Kollegen sehen das eben anders. Je mehr Schulden sie dort oben auf sich laden, desto länger ist es hier unten voll. Wir haben für weitere dreitausend Jahre Bauvorhaben in Planung. Wenn die Blase jetzt platzt, ist der Laden für tausend Jahre voll und danach können wir dicht machen. Länger als tausend Jahre dürfen wir niemanden mehr festhalten, seit der Sohn von eurem Chef oben war und allen die sofortige Erlösung versprochen hat. Und jetzt ... ."

Anna Fischkesser konnte nicht weiter reden. Die Tür zu ihrem Büro flog mit einem Donnern auf und zersprang an der Wand zu hundert kreischenden Materie-Dämonen, die eilig auf ihren sechs Beinchen in alle Richtungen davon liefen. In der Türfüllung stand Egon Reisser, seines Zeichens Vorsitzender des Ausschusses für Oberflächenaktivitäten. Sein scharf gezackter Schwanz zuckte wütend hinter ihm und schlug Löcher in die Wand. Die drei Hörner auf seinem Kopf glühten vor Wut.

"Hör zu, Schätzchen, ich ruf dich später noch mal an, ich bekomme gerade Besuch", flüsterte Anna Fischkesser so leise wie sie konnte in den Hörer, legte sofort auf und wischte sich die letzten Flammen aus dem Gesicht. Zu spät. Das Make-Up war hin, der Knochen ihres Unterkiefers glänzte wieder einmal durch das verbrannte Fleisch und ihr linkes Ohr, an dem sie den Hörer gehalten hatte, schmorte noch ein wenig vor sich hin, bevor es gänzlich abfiel und am Boden zerschmolz. Ganz gegen ihre Gewohnheit hatte sie vergessen, zwischendurch einmal das Ohr zu wechseln.

Anna Fischkesser schloss für einen Moment die Augen und dachte mit Sehnsucht an die Zeiten zurück, als sie noch lebendig und Selbständig tätig gewesen war. Die Sache mit den Kindern hatte ihr viel Spaß gebracht. Leider aber war sie auch der Grund gewesen, warum ihr Aufenthalt in der Firma sich hinzog. Dreihundert Jahre hatte sie allein der Idee zu verdanken, kleine Kinder in Ratten zu verwandeln die ihr damaliger Liebhaber, ein wirklich begabter Flötist, dann in die Berge gelockt und dort für immer entsorgt hatte. Ein Geschäft das sich finanziell durchaus gelohnt, letztendlich aber doch mit einem ordentlichen Hexenprozess, übler Fingerfolter (Teufel auch - das siedende Öl würde sie NIE vergessen) und dem Scheiterhaufen geendet hatte.

Die schönen Zeiten. Vorbei für immer.

Sie öffnete die Augen wieder und sah direkt in Egon Reissers Augen. Obwohl Reisser erst seit hundertundfünfzig Jahren im Unternehmen war, hatte er es schon weit gebracht. Bei manchen Menschen klappte es eben erst mit der Karriere, wenn alles andere schon vorbei war. Das Leben nach dem Tode hatte auch so manchen Vorteil. Mit Fleiß und einem unbezwingbar bösen Temperament hatte Reisser, zu Lebzeiten Stubenjunge bei einem preußischen Generalissimo, es verstanden, sich im Unternehmen unabdingbar zu machen. Der AfOAK war unter seiner Führung von einem Haufen torkelnder, wild um sich schlagender und grölender Dämonen zu einer Truppe straff organisierter Soldaten der Finsternis mutiert (wobei 'mutiert genau der richtige Ausdruck war). ‘Das Böse allein reicht heutzutage nicht’, war der Wahlspruch Egon Reissers, ‘man muss auch über die richtige Infrastruktur verfügen.’

Egon Reissers dunkle Augen strotzten nur so vor Blitzen. Feine Feuerzungen traten aus seinen Augenhöhlen, seine Krallenhände fuhren wütend über Anna Fischkessers wertvollen Elfenbeintisch (Nein, keine profane Elefanten - Knochen von echten, unschuldigen Elfen waren verwendet worden) und mit seinem Bocksfuß schabte er über den Fußboden aus wertvollen Tropenhölzern (den letzten des Amazonas).

"Wie können Sie es wagen ...", brüllte Egon Reisser, "wie können Sie es wagen, sich in meine Einsatzpläne einzumischen? Rettung der Welt? Wer denkt sich denn so etwas aus? Sie greifen in eine laufende Aktion ein. Wir haben Fluten auszulösen, Dämme zu brechen und Ozonlöcher aufzureißen. Wir würgen Kinder, verursachen Alpträume und verstecken Autoschlüssel unter Sofakissen. Wir retten nicht die Welt. Wir sind keine Engel. Was also, in Drei-Teufels-Namen hat Sie ..."

"Herr Reisser", versuchte Anna Fischkesser sich bemerkbar zu machen, "Herr Reisser, das war nicht unsere Idee. Wir haben eine Anfrage vorliegen."

"Vom Vertrieb", brüllte Egon Reisser, "ich bin informiert. Ich wusste nicht, dass diese Dilettanten jetzt in den Heiligenstand wechseln wollen. Was wissen DIE denn von der Praxis? Hocken hier im Warmen und denken sich Produkte aus, die niemand wirklich brauchen kann. Wozu erfindet man die fleischliche Sünde, wenn man gleichzeitig die Geburtenkontrolle auf den Markt bringt? Wo bleibt da der Nachteil? Wer braucht denn die Gier, wenn gleichzeitig der Geiz geil gesprochen wird? Ich kann da kein Konzept erkennen."

"Aber Herr Reisser, das ist doch wirklich kein Grund, sich künstlich aufzuregen. Unsere Kollegen tun doch, was ihnen möglich ist, Irren ist doch schließlich auch nur menschlich.“

„Ja“, brüllte Egon Reisser, „aber wir sind eben nicht mehr menschlich. Der Cowboy und dieser Araber erhöhen unseren Zulauf um mindestens einige Tausend pro Jahr. Einen Knick in unserer Neuzugangs-Statistik können wir uns nicht leisten, das müssten doch gerade SIE von der Personalleitung wissen. Und ich habe mit dem Chef geredet. Die ganze Aktion ist höheren Ortes nicht abgesprochen, damit Sie es wissen. NIEMAND will hier die Welt retten."

Für einen Augenblick trat Ruhe ein. Egon Reisser und Anna Fischkesser starrten sich schweigend an. Nur von draußen war das Dröhnen von Presslufthämmern zu hören, die die neue Grube aushoben. Unter das Geräusch der Hämmer mischte sich das Jammern der Neuzugänge, die gerade von den Kollegen vom Empfang durch die Höhle getrieben wurden, und ganz aus der Ferne konnte man, aber nur, wenn man sich sehr anstrengte und mehr als zwei Ohren besaß, das brüllende Gelächter des Chefs vom anderen Ende der Welt hören. Der Chef lachte immer, eine Tatsache, die Anna Fischkesser in den ersten hundert Jahren ihrer Anwesenheit hier unten ziemlich nervös gemacht hatte.

Aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles.

"Das finde ich jetzt aber gar nicht nett, Herr Reisser", unterbrach Anna Fischkesser endlich die Stille, "Da rennt man doch nicht gleich zum Chef und verpetzt die Kollegen. Sie müssen das Gesamtkonzept im Auge behalten. Letztendlich schaden wir uns doch nur selbst, wenn wir unsere Kunden jetzt nicht bremsen. Wem gebührt denn die Ehre, das Ende einzuläuten? Einem wild gewordenen Cowboy und einem Mann, der sich nicht einmal eine Rasur leisten kann, oder Ihnen, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Oberflächenaktionen? Wie sagen Sie doch immer so schön, Herr Reisser: "Böse allein reicht nicht... ."

Anna Fischkesser ließ den Rest des Satzes unausgesprochen und sah Egon Reisser erwartungsvoll an. Endlich schien beim Vorsitzenden des Ausschusses für Oberflächenaktivitäten der Groschen zu fallen „... man muss auch über die nötige Infrastruktur verfügen", vervollständigte Egon Reisser, "da haben Sie allerdings recht, Frau Kollegin."

"Und wer anders als SIE hätte das nötige Know-How, um so einen großen Auftrag auch richtig durchzuführen?"

Die Blitze in Egon Reissers Augen spielten von Zornesrot in ein liebenswürdiges Pink. Die Krallen an seinen Händen zogen sich in seine schuppigen Finger zurück und die kleinen Materie-Dämonen, die eben noch fluchtartig den Raum verlassen hatten, kamen zurück und setzten sich aufgeregt fiepend wieder zu einer vernünftigen Eingangstür zusammen.

"Na", dröhnte Egon Reisser in versöhnlichem Ton und wand sich wie ein Kätzchen, dem man den Bauch kraulte, "da muss ich mich wohl für mein unhöfliches Auftreten entschuldigen. Das hatte ich nicht bedacht. Natürlich ist es allein unsere Aufgabe, die letzte Schlacht zu schlagen. Armageddon ist uns, wie unsere Werbefuzzis immer so schön sagen, nicht wahr? Was sollen ein paar hergelaufene Lebendige auch schon vernünftiges Anstellen? Viel mehr als ein konventioneller Krieg kann dabei doch gar nicht herauskommen."

Anna Fischkesser lächelte erleichtert und Egon Reisser verabschiedete sich unter tausend höflichen Verwünschungen. Ein Blick auf die Uhr verriet Anna Fischkesser, dass es langsam Zeit für ihr tägliche Portion Folter wurde. Ein weiterer Blick auf ihren vollelektronischen Karma-Planer verriet ihr, dass heute die Streckbank und danach ein wenig Geschlechts-Piercing anstanden. Sie würde schnell noch im Vertrieb anrufen und dann Schluss machen. Die Kollegen würden sich freuen, dass sie noch etwas Zeit hatten, um an ihrem allerneuesten Geheimplan für das Ende der Welt zu arbeiten: der voll bürokratisierten Langeweile in einer PERFEKTEN Welt.

Das würde selbst die Konkurrenz nicht toppen können.